Trend-Stiefel im Winter 2020/21: bequem, praktisch und ugly
Alle diese Stiefel-Trends verbinden Gemütlichkeit mit sehr pragmatischen Eigenschaften. Also mit allem, was man sich gerade von Stiefeln wünscht. Sie sind außerdem auch ein bisschen „ugly“ – was in der Mode immer dann besonders nett gemeint ist, wenn es um Schuhe geht, weil solche Modelle eine bewusste Abkehr von gängigen Schönheitsidealen und Geschlechterklischees sind. Wie es im Frühjahr/Sommer 2021 mit dem ugly chic an den Füßen weitergeht, konnte man übrigens schon mal bei Balenciaga beobachten, wo die Models die Luxusversion von kuscheligen Hotelschluppen trugen.
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Charlotte Perriand: Le Corbusiers heimlicher Star
Charlotte Perriand hat Möbel und Architektur auf den Menschen abgestimmt. Zwei Bücher holen sie mit Leichtigkeit aus dem Schatten des Meisters.
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Ein Herz und eine Seele? Le Corbusier profitiert von Charlotte Perriand und lässt ihr freie Hand. Hier besprechen sich die beiden in ihrem Atelier hoch über der Place Saint Sulpice (1928).
Es gibt zwei Fotografien von Charlotte Perriand, die eine Menge über diese immer noch zu entdeckende Designerin erzählen. Einmal reckt sie die Arme über ihrem nackten Rücken in die Höhe, als wollte sie voller Begeisterung in die verschneite Bergwelt hineinjubeln.
Um den Hals trägt sie eine Kette aus verchromten Kugellagern, um 1930 war das für eine Französin schon frech. Was hier aber zum Ausdruck kommt, ist die Sportlichkeit dieser passionierten Skifahrerin und Tourengeherin und mehr noch ihre tiefe Verbundenheit mit der Natur.
Charlotte Perriand: Wenn Schönes praktisch sein muss
Während ihre Zeitgenossen ganz rational-funktonal in Beton, Stahl und Glas dachten und sich erst spät - korrigierend - wieder auf die Natur zurückbesannen, hatte Charlotte Perriand immer schon auf organische Formen und Materialien gesetzt und dabei das Funktionale nie aus den Augen verloren. Die 1903 geborene Pariserin, die in ihrer Kindheit viel Zeit bei den Großeltern in Savoyen verbracht hatte, nahm nie Abstand von der “campagne” mit ihren Bauern, die keinen Sinn darin sahen, sich alle paar Wochen eine neue Garderobe zuzulegen und die Wohnung umzudekorieren.
Verschwendung, fand die Perriand. Dabei war sie Schönem partout nicht abgeneigt. Doch es musste praktisch sein, zu den Menschen oder besser zu den Benutzern passen. Und die sollten sich wohlfühlen. Das tun zum Beispiel die Skiurlauber, die seit den 60er Jahren in der Ferienanlage von Les Arcs in den französischen Alpen unterkommen, bis heute ganz ausdrücklich. Die Vorzüge reichen von der offenen Küche, die die Familie im Gespräch hält, bis zu genau bemessenen Skischuhregalen. Dass die Stiefel immer höher wurden, hat die um perfekte Lösungen bemühte Planerin kurz vor ihrem Tod 1999 für einen Moment aus dem Konzept gebracht. So sehr hing sie am Idealen.
Die zweite der eingangs erwähnten Fotografien verbindet man schon eher mit einer Designerin. Charlotte - wieder mit der Kugelkette - entspannt sich 1928 auf der “Chaise longue B 306”. Die Beine hat sie hochgelagert, das wollte man damals den Frauen nicht zugestehen. Aber das ist der Clou dieses Möbels, das heute in allen einschlägigen Museen zu bewundern ist.
Le Corbusier holt Perriand als Assistentin in sein Atelier
Allerdings steht oft genug nur “Le Corbusier” dabei. Der Stararchitekt war geübt darin, überall seinen Namen zu platzieren. Bei der Anmeldung zum Patent änderte er kurzerhand die Reihenfolge, obwohl gerade er es besser wusste. Le Corbusier hatte Perriand im Jahr zuvor als Assistentin ins Atelier geholt. Er brauchte sie dringend für die Innengestaltung seiner Bauten. Vor allem bei den Möbeln drohten ihn die Bauhäusler endgültig abzuhängen.
Das Herz dieser freien, unbestechlichen Gestalterin schlug links
Doch dafür hatte der Meister weder die Zeit, noch die Voraussetzung. Le Corbusier, der mit dem “Modulor” ein am Menschen orientiertes Proportionsschema austüfteln sollte, wusste nicht, wie man in seinen chicen Hüllen wirklich wohnen und nicht nur fürs Hochglanzmagazin posieren konnte. Perriand entwarf neben der tatsächlich erholsamen Chaiselongue gleich noch den schwenkbaren Freischwinger “Fauteuil pivotant B 302” und damit wieder so ein Stück, das in die Designgeschichte eingegangen ist. Genauso wichtig sind ihr freilich die Bettgestelle mit Regalfächern für ein Kinderheim der Heilsarmee.
Die Arbeit dieser unabhängigen, nie korrumpierbaren Gestalterin war immer mit einem leidenschaftlichen sozialen Engagement verbunden. Ihr Herz schlug links, zeitweise liebäugelte sie mit dem Kommunismus. Und hätte die Perriand nur ein bisschen mehr nach Prestige gestrebt - die Männer um sie herum hatten es ja vorgemacht -, sie wäre lange nicht nur ein Fall für die engeren Fachkreise geblieben.
Das Bild von Charlotte in den Bergen darf auch in der Graphic Novel nicht fehlen. © Charles Berberian/Reprodukt
Das hat im letzten Jahr die Retrospektive in der Pariser Fondation Louis Vuitton deutlich unterstrichen, und das ist auch in der bilderreichen Biografie von Laure Adler bis in die einzelnen Projekte hinein zu verfolgen.
Perriand hatte kein Architektendiplom, das zwang die Absolventin der Pariser Kunstgewerbeschule Union Centrale des Arts Décoratifs, sich mit Partnern zusammenzutun. Bei Mies van der Rohe war das übrigens nicht anders. Doch die Tochter eines kreativen Schneiderehepaars störte sich nicht an solchen Kleinigkeiten, sie war an Inhalten interessiert und und nicht an Zertifikaten.
Das Problem mit der Großspurigkeit von Le Corbusier
Dass Le Corbusier ihr bei der Vorstellung ein machohaftes “Wir besticken hier keine Kissen” entgegenwarf, schien sie gar nicht erst zu ignorieren. Immerhin war er auf sie zugekommen, nachdem ihm ihre sensationelle “Bar unterm Dach” mächtig imponierte. Perriand hatte sie für den Pariser Herbstsalon entworfen - aus vernickeltem Kupfer und Aluminium. Das gefiel dem Talentscout, und bald wurde die junge Mitarbeiterin eine feste Größe in seinem Team.
Charlotte Perriand entspannt sich auf ihrer berühmten “Chaise longue basculante”. © Charles Berberian/Reprodukt
Er ließ sie machen, doch Le Corbusiers Großspurigkeit und seine Ausrichtung wollten irgendwann nicht mehr mit ihren Vorstellungen zusammengehen. Die politischen Differenzen lagen auf der Hand, eine Einladung aus Japan kam da gerade recht. Dass 1940 Krieg war, konnte sie nicht hindern, in den Fernen Osten aufzubrechen. Es sollten zwei prägende Jahre werden, die Charles Berberian in seiner Graphic Novel mit feiner Ironie beleuchtet.
Charlotte Perriand: Das ist ihr bestechendes Prinzip
Denn natürlich stößt Perriand die Japaner vor den Kopf. Mit einer Frau, die so klar den Ton angibt, können sie nicht umgehen, zumal ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Perriand soll Handel und Industrie beraten, um den Absatz von Kunsthandwerk zu steigern. Doch auf westlich orientierten Kitsch und Schnörkel hat sie keine Lust. Vielmehr erkundet die Französin das Land und findet alte Handwerker, die Tatamis, das sind Reismatten, oder Papier herstellen. Und sie jagt ihre völlig untrainierten Studenten die Berge hinauf, um ihnen ein Gefühl für die Natur zu vermitteln.
Perriand bringt schließlich ihre Auftraggeber in der japanischen Handwerkskammer dazu, sich auf die Tradition zu besinnen. Genauso lässt sie sich selbst von der Schlichtheit und den natürlichen Materialien inspirieren. Auch nach der Rückkehr aus Asien hält die große Gestalterin an Werkstoffen wie Bambus fest - das irritiert wiederum die Europäer. Doch mit ihren Entwürfen und ihrem mitreißenden Wesen kann Perriand bis ins hohe Alter immer wieder überzeugen. Ihr Prinzip ist ja auch zu bestechend: “Besser einen Tag in der Sonne verbringen, als unnötige Dinge abstauben”.
Laure Adler: “Ihr Leben als moderne und unabhängige Frau” (Suhrkamp, 192 Seiten, 44 Euro); Charles Berberian: “Charlotte Perriand. Eine französische Architektin in Japan 1940-1942” (Reprodukt, 112 Seiten, 20 Euro)